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Interview mit Birgit Neyer zu 'Housing First'
„Der Anfang von allem ist, eine Adresse zu haben“
Das Projekt „Housing First“ ist eine Erfolgsgeschichte. Mit gezielten Zuschüssen hilft der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Menschen aus der Wohnungslosigkeit. Unterstützung erfährt der LWL dabei vor allem von privaten Vermieterinnen und Vermietern, wie Birgit Neyer, Erste Landesrätin und Kämmerin des LWL, im Interview berichtet.
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Housing First kommt ursprünglich aus den USA. Seit wann gibt es das Konzept beim LWL?
Housing First gibt es seit 1992 in den USA. Im LWL haben wir es 2022 eingeführt.
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Wie kam es dazu?
Das war eine politische Vorlage. Unser LWL-Inklusionsamt kümmert sich darum, dass wir Housing First umsetzen. In ganz Westfalen-Lippe wollen wir Menschen animieren, ihre Wohnungen für wohnungslose Menschen zur Verfügung zu stellen. Dazu haben wir dann ein Anreizsystem mit attraktiven Zuschüssen aufgebaut.
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Werden die Wohnungen komplett bezahlt?
Wir unterstützen die Menschen, die über Housing First an eine Wohnung kommen. Am Anfang wird durch die Eingliederungshilfe, also die Sozialhilfe, alles bezahlt. Sozialarbeiter leisten zudem praktische Lebenshilfe, damit sie wieder in die Spur kommen können. Darum geht es vor allem: Es sollen normale Mietverhältnisse werden. Vermietende erhalten für Neubau oder Erwerb pauschal eine Zuwendung von 40 Prozent der Investitionskosten, maximal 40.000 Euro. Bei sanierungsbedürftigem Wohnraum im Bestand können sie 30 Prozent und bis zu 30.000 Euro der Sanierungskosten bekommen. Grundsätzlich gibt es für die Bereitstellung von Wohnraum 5.000 Euro als Prämie. Das, finde ich, sind gute Argumente. Und quasi als Mitnahmeeffekt sorgen wir auch noch für sanierte Wohnungen.
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Wie wurde das bislang angenommen?
Das Projekt ist sehr erfolgreich. Wir haben jetzt schon 100 Wohnungen, die an ehemals wohnungslose Menschen vermietet werden.
Attraktive Zuschüsse für Vermietende
Sabine Thiel (l.), Geschäftsführerin von Haus & Grund Münster, informierte sich beim LWL über das Projekt Housing First.
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Wie wurde das bislang angenommen?
Das Projekt ist sehr erfolgreich. Wir haben jetzt schon 100 Wohnungen, die an ehemals wohnungslose Menschen vermietet werden.
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Gibt es Menschen, die über Housing First zu einer Wohnung kamen und im Anschluss daran auch an einen Job?
Die gibt es. Darüber haben wir auch Reportagen geschrieben, die man auf unserer Website lesen kann (siehe Link bzw. QR-Code im Info-Kasten). Der Anfang von allem ist, eine Adresse zu haben. Erst damit bekommt man ein Bankkonto – das wiederum die Voraussetzung ist, um auf Jobsuche zu gehen.
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Und die Vermieterseite?
Wir hätten erst einmal Widerstände bei den Vermieterinnen und Vermietern vermutet. Aber im Gegenteil hörten wir da Aussagen wie: „Das ist das Beste, was uns passieren kann. Wenn es Probleme gibt, rufe ich beim LWL an und das Thema ist erledigt!“
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Wir von Haus & Grund vertreten die Auffassung, dass private Eigentümer näher an den Belangen der Menschen sind, weil wir eine persönliche Beziehung zu unseren Mieterinnen und Mietern haben.
Das sehen wir auch an unseren Zahlen: Die meisten Teilnehmenden an diesem Programm sind wirklich private Vermieterinnen und Vermieter sind. Die Privaten scheinen da eher sozial orientiert. Auch das Helfen-Wollen ist ein starkes Motiv.
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Wie sind Ihre Erfahrungen bezüglich des Mieterverhaltens?
Ich kann verstehen, dass man als Vermieter vielleicht die Sorge hat, dass es Probleme gibt mit Menschen ‚von der Straße‘. Aber das lässt sich nicht bestätigen. Da gibt es weder besondere Beschwerden über Lautstärke noch über Unrat oder sonst irgendetwas. Und wie gesagt, man kann sich jederzeit an den LWL wenden. Wir haben ein starkes Interesse daran, dass die Mietverhältnisse gut funktionieren, und ein Team von Mitarbeitenden, das sich um die Menschen kümmert.
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Ist das Projekt angesichts allgemeiner Wohnungsknappheit nicht unfair gegenüber anderen Wohnungssuchenden?
Wir alle neigen dazu, Menschen in Schubladen zu packen. Viel schwerer als wohnungslose Menschen kann man es deshalb nicht haben, eine Wohnung zu finden. Diese Menschen, denen das Leben schon häufiger mal den harten linken Haken gezeigt hat, gehen deshalb auch viel verzagter auf Wohnungssuche. Dass wir gerade sie unterstützen, finde ich genau richtig.
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Gibt es in Landesteilen, wo der Wohnungsmarkt weniger angespannt ist als beispielsweise in Münster, auch Obdachlosigkeit?
Gerade für den ländlichen Raum wird das Projekt stark beachtet. Eigentlich sind alle überrascht, wie groß auch hier der Erfolg ist. Das Thema ungewollte Wohnungslosigkeit gibt es überall. Das sagen unsere Fachleute ganz klar. Im ländlichen Raum ist es nur verschämter. Die Leute schlafen auf der Couch oder übernachten bei der Verwandtschaft. So sieht man diese Form der Wohnungslosigkeit nicht so stark.
Der Schlüssel zur Wohnung als Schlüssel zum Leben:
Darüber sprach Birgit Neyer, Erste Landesrätin und Kämmerin des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL), mit Haus & Grund-Redakteur Marko Ruh.
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Wie lange läuft Housing First noch?
Erst einmal bis 2027. Dann fällt eine Entscheidung der Politik, ob neue Mittel aufgelegt werden.
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Welche Priorität genießt die Initiative innerhalb des LWL?
Als LWL kümmern wir uns ohnehin um Menschen in Not. Wenn wir das mit diesem Projekt machen, benötigen wir möglicherweise weniger Plätze in großen Komplexeinrichtungen. Wenn jemand wieder zu einem eigenständigen Leben zurückkommt, bedeutet das auch eine Entlastung für die öffentlichen Kassen.
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Wohin können sich interessierte Vermieter oder Vermieterinnen wenden?
Es gibt unsere Homepage. Da steht alles genau beschrieben, auch mit Fragen und Antworten.
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Frau Neyer, was bewegt Sie ganz persönlich bei diesem Thema?
Mein persönliches Lebensthema ist wirklich, Potenziale zu entfalten. Ich will, dass Menschen spüren, wie wertvoll sie sind. Sie sollen die Möglichkeit haben, ihre Schwierigkeiten zu überwinden und wieder zu einem guten Leben kommen. Das ist mein persönlicher Antrieb bei der Arbeit hier im LWL: Wenn es mal knüppeldicke kommt, zu zeigen, dass hier Menschen sind, die dir helfen. Das finde ich großartig – und das passt ja auch sehr gut zu Weihnachten.
Ansprechpersonen
Gabriele Zumbrink
gabriele.zumbrink@lwl.org
Tel: 0251 591-4733
Christopher Beuck
Zuständig für Projekte in der Region Mitte und Süd:
christopher.beuck@lwl.org
Tel: 0251 591-7522
Verena Feller
Zuständig für Projekte in der Region Nord und Ost
verena.feller@lwl.org
Tel: 0251 591-3037